Rhetorische Thesen und Tendenzen
zur europäischen Paidèia-Aktualisierung
(in progress)
Europe first? That`s not what we`re looking for. We need a long-term strategy for mobilising an integral but pluricentric National European Renovation. Besides pure political typology, Europe is also rooted in traditional essentials of systemic rhetoric as well as in antitotalitarian pathways, not to forget indo-european cultures, recognizing their multifold mythologies, consisting of diverse heterogeneous value structures within our socalled Modern world. As for crossdisciplinary rhetoric the homo loquens (Fry 1977) remains embedded within an accurate alliance of coherencies, conditions, governing principles and real-systematic dimensions. Easy to understand in terms of a organized quintuple (Nickl 2010/11). Affirming personal knowledge (Polanyi 1962) and opposing the tendency to make knowledge impersonal: emphasizing Actualization of Paideia/Παιδεία & Individualism (against collectivist equalization & ideologically tempered social theories in Education), pro Ethnoconstructivism, Political Pluralism, and Trustworthiness in different levels & types of Democracies. EU-citizens’ trust in mediation and supervision of supranational EU-oligarch governance & institutional structures seems to be on the decline. The opposite is true with a slightly raising ascendancy of Constitutional Europatriotism or even a moderate Paneuropean patriotism.
Key words: Paideia/Παιδεία, free men, contrasting or opposing arguments/Dialexeis or Dissoi logoi/δισσοὶ λόγοι, Individuation, Individualism, Collectivism, Multiculturalism, Centrality of Speech, systematical Rhetoric, Iron law of oligarchy, political Pluralism, realistically renewed Eurocentrism, respectful Ethnoconstructivism, Europatriotism, moderate paneuropean patriotism.
Was wäre gegen einen europäischen Patriotismus, der sich global behaupten muss, einzuwenden? Legitimiert durch allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime, demokratisch-republikanische Wahlen und eine im vergleichbaren Konstitutionsmodus generierte, akzeptierte und in Kraft gesetzte EU-Verfassung. Ein europäischer Patriotismus aufgrund einer forcierten, demokratisch-republikanisch reformierten und transformierten EU als eigener Machtpol in der pluripolaren politischen Welt. Auch ein pluralistisches Selbstbehauptungssystem bedarf einer Gestaltungs- und Überlebensstrategie. Wozu positive Kommunikation, positive und beileibe nicht unkritische Wissensformen, lebenserhaltende Systeme und erwartungsgemäß so etwas wie ein europäisches Menschenbild (Mühl 1928/75, Baruzzi 1979, 1993: 368-372) und eine europäische Identität (Fuhrmann 2002, Vujadinović 2011) zählen. Ebenso ein europäisch angemessener, selbstbestimmter, d.h. kein fremdbestimmter, hegemonial lancierter, aufoktoyierter Kategorien-, Kohärenz- und Paradigmenrahmen.
Zieht man mehrere in der EU ermittelte Befunde und Trends aus neueren, zumal 2020/22er Surveys bei, dann gehören zum umfragentechnisch ermittelbaren Sektor des persönlichen Wertekanons dieser europäischen Identitätskonfiguration vor allem: die Unabhängigkeit der Justiz & das Recht auf faire Gerichtsverfahren (82%), Meinungs- & Redefreiheit sowie Religionsfreiheit (81%), gleichauf mit der familiären Verankerung (81%), Selbstverwirklichung (78%), ebenso die Fähigkeit und Mittel, sich um die eigenen Angehörigen zu kümmern (77%). Hoch im Kurs steht auch „Education“ (Bildung inkl. Ausbildung und Erziehung), folgt man den aktuellen Digitalisaten des Eurobarometers. Diesen Voraussetzungen gemäß erscheint die europäisch inkorporierte „Education“ offenkundig auf Selbstverwirklichung, Meinungs-, Rede- & Religionsfreiheit, gleichfalls auf Wertschätzung eines familiären Settings hingeordnet.
National Identity im Sinne von Nationalstaatsbewußtsein einschließlich Staatsbürger-Identität rangiert mit 73%er Wertschätzung in der EU ebenfalls vorne, doch nicht ganz so nahe an den Spitzenwerten. Auch ein Trendbefund. Sogar die Korruptionsfurcht rangiert querbeet durch die EU mit 74% noch knapp vor der National-Identity-Einschätzung.
Viele europäisch ausgerichtete, ebenso manch national retardierende Politiker und staatlich alimentierte Befreiungstheologen, Bildungsträger, Bürokraten, Gewerkschaftler, Globalisten, prächtig dotierte Journalisten und Organisationsfunktionäre der Mainstream-Medien, Parteiideologen, Verlautbarungspublizisten (Kommunikationsfunktionäre), aber auch etliche Linguisten, Pädagogen sowie Philosophen und nicht zuletzt übergenug viele Sozialwissenschaftler verschiedener Sparten (Politologen, Soziologen) haben sich zeitlebens nie vom Einfluß des Marxismus oder von der Frankfurter Schule oder ihren Derivaten, noch von deren Negativ-Dialektik, deren inadäquater Dichotomisierung und Ineinander-Spiegelung von Theorie und Praxis, bzw. Verwechslung von Theorie und Praxis, kurz: von der marxistisch inspirierten Kritischen Theorie und vom Panikorchester der nach dem WW2 reüssierten Neuen Linken signifikant erkennbar gelöst. Eine in ihrer entsprechenden Paradigmen- und Plausibilitätsgenerierung sowie im tonangebenden Agenda-Setting, in der medienrhetorischen Orchestrierung, Stichwort- und Themen-Insinuierung nicht zu unterschätzende, gesellschaftspolitisch effektiv etablierte Personengruppe mit gewissen Kontrollgelüsten. Erst seit den nach der jüngsten Jahrtausendwende beobachtbaren Demokratisierungs- und Innovationseffekten der Alternativen Medien mit ihren Chats, Foren und mobilen Instant-Messengerdiensten via digitalisierte Endgeräte, mithin durch individuelle und individualisierte, rhetorische Mediennutzung hat sich das Spektrum der wirklichen Meinungs- und Redefreiheit verbreitert, vorerst.
Global eskalierende Ungleichheit an Reichtum und Ressourcen-Kontrolle stellt ein Menetekel der Machtkonzentration und Oligarchisierungsprogression dar. US-hegemonialer Konformitätsdruck und Mainstream-kontrollierter Konsensualismus dominieren nicht nur den europäisch-mediterranen wie den transatlantischen Diskurs. Seit der WW2-Nachkriegszeit auch das, was integrativ vage als Westliche Welt bzw. Western World bezeichnet wird. Als eine Tendenz innerhalb der supranationalen EU scheint sich die generelle Robert Michelssche Mutationsprognose (1911/25) von der Bürokratisierung via Oligarchisierung zur optionalen Korrumpierung aufgrund machtkonzentrierter Ressourcenverfügung von Führungscliquen sowie machtsichernder Stabilisierungs- und Verselbständigungsprozesse von bürokratischen und parteipolitischen Eliten zu bestätigen. Diesem persistierenden Kernproblem der Oligarchisierung wird in den jüngsten Jahrzehnten wieder mehr Aufmerksamkeit und Problematisierungsmühe zuteil (Tuccari 2010, Nodia 2020, Vergara 2020). Mit einem durchargumentierten Perspektivwechsel auf formale Aspekte des Demokratiedesigns oder auf die verbriefte Repräsentativität oder mit wohltemperierter Hymnologie auf repräsentativ arrangierte Gremien und Kommissionen läßt sich das Oligarchisierungsproblem nicht erledigen.
Auffällig erscheint die Machtsicherungsdynamik der EU-Apparatschiks und der effektiv vernetzten, teils undurchsichtig logenvernetzten Seilschaften, Priesterkasten, Think Tanks und Unelected Bureaucrats des EU-Staatenverbunds, die dominierenden transatlantisch orientierten Funktionseliten. Diese mächtigen Transatlantiker, die in diesem Setting die Szene beherrschen, treten mehr als militärisch-industrielle oder wirtschaftspolitische Lobbyisten auf denn als interkulturell und transnational profilierte Argumentierer mit europapolitisch überzeugender Evolutions-, Reform-, Sicherheits- und Transformationsperspektive. Deren disproportional angeschwollener Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung, deren Kontrollgelüste und das erreichte Stadium an EU-Machtkonzentration bzw. Oligarchisierungsoptimierung jenseits des machtpolitisch wohl erheblich überschätzten EU-Parlaments, all dies favorisiert Status-quo-Politik und die Zentralregierungen der mitspielenden Nationalakteure. Vorprogrammierte Verlierer im Spiel dieser Gestaltungskräfte um Entwicklungspotenziale, Machtbalance oder Machtkonzentration, Ressourcen und Oligarchisierungsprogression sind, soweit sich das aus meiner Sicht erschließen läßt:
das Europa der Regionen, das Europa der Volksgruppen und nicht zuletzt das Europa der freien, freiheitsbejahenden, gleichberechtigten, selbstbestimmten, rhetorisch argumentierenden Staatsbürger: die misera contribuens plebs hodierna.
Aufs arme, steuerzahlende, moderne Staatsbürgervolk bezogene mittelfristige Ad-hoc-Hypothese: Als Verlierer des Machtpokers der EU-Herrschaftsgremien und nationalen EU-Mitspieler kommen die Europa-bejahenden, eher hoffnungsvoll-gutmütigen bis konstruktiv-kritischen und gesinnungstechnisch nicht so leicht pervertierbaren, pluralistischen, Toleranz-praktizierenden, relativ unabhängigen, arbeitsmarktpolitisch und mental relativ unversklavten Europäer, bzw. die ohnehin schon mehrseitig malträtierten Leistungsträger an der Basis der europäisch-nationalen Solidargesellschaften infrage: jene frustrationstoleranten, durchaus noch existierenden, wenngleich nicht unbegrenzt belastbaren, wertebewußten und wertetradierenden Bevölkerungsgruppen, wozu auch die klassischen Proponenten europäischer Individualitäten zählen. Einschließlich denjenigen, die sich nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit konfliktstrategisch lautstark, marketingerfahren und medienkonvergent in der öffentlichen Repräsentanz-Kommunikation mit sensationellen Forderungen zu Wort melden. Etliche aus dem weiten Kreis dieser bekennenden Pro-Europäer scheinen eh schon resignativ in innere Emigration zu gleiten. Sicherlich schwierig, wenn nicht so gut wie unmöglich, für diese uneinheitlich umrissenen Bevölkerungsanteile hinreichend differenzierende Beobachtungssätze aufzustellen, die nicht referentiell in ideologische oder soziologische Denkmuster hineinreichen. Ein Grund mehr, um an das seit 1800 überlieferte, deutschsprachige Studenten-Lied, „Die Gedanken sind frei„, seine mittelhochdeutschen Vorläufer und römisch-rhetorischen Wurzeln zu erinnern: „liberae sunt enim nostrae cogitationes“ (M.T. Cicero: Pro Milone, XXIX, 19). Leider keimt derzeit eine EU–Zensurpraxis auf (siehe EFJ-Stellungnahme vom 1.3.2022). Parallel dazu schwillt der Zensur- und Überwachungslevel zahlreicher Nationalstaaten in Europa an, wie im Wiki-Summary über Internet censorship and surveillance in Europe belegt.
Noch dürfte die EU-Reformfähigkeit, Weiterentwicklung und Weiterformierung oder partielle Dissoziierung als nicht-determinierbar labil einzuschätzen sein. Freilich gehört auch dies zu den aktuellen Dissoi logoi. Keineswegs nur in der Journalistik und Rhetorik. Denn ein epistokratisch-superiorer „Experten“-Sachverstand, der in der Lage wäre, strittige EU-Entwicklungsprobleme und EU-Reformfragen skepsisfrei ins Unkontroverse zu transformieren und obendrein die EU-Zukunft zweifelsfrei vorherzusagen, ist nirgendwo vorhanden. Weder in der modernen Futurologie noch in der Politischen Philosophie oder Politischen Theologie (wie wärs mit „Europa & EU-Eschatologie“ als theol. Subdisziplin?), noch im Einflußimperium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Auch ethisch-moralisches Appellieren an die EU-vertraglich begründbare Vernunft oder diskurstaktische Verweise auf oszillierende Meinungsgipfel im entsprechenden Begleitforschungsdesign können Auseinandersetzungen um Dubia und Meinungsverschiedenheiten über kontroverse EU-Entwicklungsprobleme und EU-Reformfragen nicht lösen. Angesichts der mehr oder weniger zentralstaatlich inkorporierten Kontrollmechanismen, sowie einer sich steigernden Zentralmacht-Konzentration und dem erreichten Level an Oligarchisierungsprogression existiert ein demokratisch-republikanisches Legitimationsproblem der politischen EU-Macht.
Die Machtkonsolidierung der EU-Apparatschiks, IT-gestützte Kontrollmechanismen, Machtkonzentration und Oligarchisierungsprogression begünstigen freilich zentralistische Verbürokratisierung, darüberhinaus gewisse Verselbständigungstendenzen. Womit diese tendenziell oligarchisch zu verstehenden Ausdifferenzierungs- und Gestaltungsprozesse nicht vorschnell verteufelt werden sollen. Es existiert ein Geflecht an institutionalisierten „Independent Agencies“, die aufgrund heterogener Kriterien und Standards mit unterschiedlicher, teils schwankender, jedenfalls kritikwürdiger Effizienz operieren (von EZB bis Frontex). Man darf jedoch ansprechen, was sich abzeichnet oder schon manifestiert hat. Dies provoziert eine Wagenburg-Mentalität in EU-Herrschaftsdomänen, woraus sich Akzeptanzfragen, sowie Kontroll- und Legitimationsprobleme stiften. All dies resultiert nicht etwa exklusiv aus der degressiv-proportional fragwürdigen und eben keineswegs unproblematischen Repräsentanz der EU-Vertreterversammlung, genannt „EU-Parlament“(ein Euphemismus angesichts seiner schmalen realpolitischen Gestaltungschancen und Macht-Befugnisse, sowie vom oligarchisch komponierten Listenwahl-Modus her gesehen), sondern aus mehreren, ebenso bekannten wie eklatanten Demokratiedefiziten. Im Verlautbarungsjournalismus zirkulieren mittlerweilen Statements, die kaum verkennbar darauf abzielen, EU-Demokratiedefizit-Kritiken & -Kritiker als „Europagegner“ zu desavouieren.
Zur diachronischen Genese & Retrospektive des „EU-Parlaments“ existiert inzwischen eine Unsumme von geradezu bienenfleißig nachkonstruierenden bis zeitgeschichtlich durchrecherchierten Darstellungen, ausgehend von den allzuvielen EU-internen wie auch EU-externen Politologie-Departments, vergleichbaren Einrichtungen oder anders institutionalisierten Instituten, worauf wir hier nicht eingehen.
Ostinato der EU ist die Oligarchie, nicht die totale Oligarchie, wohl aber die partielle, supranationale Oligarchie, wenngleich in einem annähernd formaldemokratischen Design. Bislang kommt das EU-„Parlament„ ohne demokratische Direktwahl von Wahlkreis-Abgeordneten zustande, im Grunde genommen skandalös. Bis dato gibt es nicht mal EU-weite Wahllisten, lediglich Mitgliedstaaten-typische. Die endgültige Reihenfolge der Kandidaten bei der starren Listenwahl zum sogenannten EU-Parlament wird durch die Parteien-Oligarchen und eben nicht durch die Wählerinnen und Wähler bestimmt. Abgesehen von minimalen Modifikationsoptionen (z.B. Vorzugsstimmen in Italien und Österreich). Nur Irland, Nordirland und Malta wenden das System übertragbarer Einzelstimmen an. Bei den EU-Listenwahlen geht es vor allem um bequeme, lukrative Pfründe. Das EU-Parlament ist ein Deklarativ-Parlament, das abgesehen von wenigen Ausnahmen aus parteienoligarchisch kontrollierten, starren Listenwahlen resultiert. Besagt: eine unveränderliche Liste ankreuzen plus Zettelfalten. Vom ominösen Listenwahlmodus her den seinerzeitigen Volkskammer-„Wahlen“ in der sog. „DDR“ vor 1990 wohl nicht völlig unähnlich.
Pragmatisch gesehen standen die bisherigen EU-Listenwahlergebnisse zu EU-Parlamentswahlen wohl doch zum überwiegenden Teil schon vorher fest. Wozu die fallend-proportionale Sitzverteilung und der ziemlich kollektivistisch aussehende, jedenfalls starre Listenwahl-Modus beiträgt. Die Gretchenfrage des EU-„Parlaments“ lautet: Wie hältst Du ’s mit der Repräsentation pro Territorialnation? Die ist streng einzelstaatlich portioniert, nicht etwa EU-übergreifend transnational. Selbst dann, wenn EU-weite „Spitzenkandidaten“ parteienoligarchisch vorgespiegelt und in diversen Formaten der Mainstream-Medien aspektiert und vermittelt werden, bleiben sie doch bloß einzelstaatliche Listenplayer. 2019 wars genauso. Außerdem ist dieses demokratiedefizient generierte EU-„Parlament“ keinesfalls mit dem tatsächlichen EU-Legislativorgan und Machtzentrum zu verwechseln, dem durch die mitspielenden Einzelstaatsakteure, den Staats- und Regierungschefs bestückten ´Rat der Europäischen Union`. Darin liegt die eigentliche Macht der EU und nicht etwa im sogenannten EU-Parlament und seinem Showtime-Charakter. Prioritäten, Richtungsentscheidungen, Strategische Agenda und generelle politische EU-Zielvorstellungen obliegen dem ´Europäischen Rat`. Exekutivorgan der EU ist eine teure Bürokraten-Kommission; sie setzt um, was im Rat der EU beschlossen wurde. Sollte die EU nicht wesentlich mehr sein als eine überbürokratisierte EWG?
Welchen EU-Verfassungskonsens mit wieviel Vertragstreue bräuchten wir auf welcher demokratisch-republikanischen und nicht etwa aristokratisch-monarchistischen oder oligarchischen Legitimationsbasis? Eine Legitimationsbasis, die dem europäischen Mehrheitswillen und Selbstverständnis entspricht. Läßt sich der durch zwei durchgreifende, nationale, allgemeine, freie, gleiche, unmittelbare und geheime Volksentscheide in Frankreich (29. Mai 2005) und den Niederlanden (1. Juni 2005) gescheiterte EU-Verfassungskonsens mit der behelfsweisen, oligarchisch-repräsentativen Akrobatik des Vertrags von Lissabon (Dez.2007, in Kraft seit Dez.2009) unter bewußter und gezielter Umgehung konstitutiver Volksabstimmungen – Ausnahme: Irland 2008/9 – dauerhaft stabilisieren?
Alles andere als vaterlandsrestaurativ gefragt: Warum soll die EU-Staatsbürgerschaft nicht die erste Staatsbürgerschaft werden?
Den dazugehörigen Diskussionsrahmen voller Hoffnungen, juristisch verwickelter Fallstricke, nationalstaatlicher und supranationaler Komplikationsoptionen, vgl. z.B. Samantha Besson (ed. 2007 et passim), können wir hier nicht einpassen. Anzuzielen bleibt ein souveräner, demokratisch-republikanischer EU-Bundesstaat mit Zweikammer-System: Parlament plus Senat; ein föderativ, regionalstaatlich gegliedertes und subsidiär verfaßtes, republikanisches Nationaleuropa mit föderierten, staatsrechtlich konstituierten Regionalstaaten und konstitutiven EU-Staatsvölkern. Nach innen offen, an den Außengrenzen souverän und wehrhaft gesichert. Europa als in sich antithetische, komplementäre, pluralistische, gleichwohl integrationseffektive wie reintegrierende Staatsräson.
Mit Sozialcharta, aber keine Bevormundungsunion, keine Nivellierungsunion, kein zentralistischer EU-Sozialismus samt demokratie-ignoranter Bürokratenherrschaft („EU-Sowjet“). Und keine Haftungs-, Schulden- und Transfer-Union, wovon möglicherweise die politische Klasse überregional agierender Funktionseliten und schattenwirtschaftliche Akteure profitieren dürften. Passender Tenor, unisono zu intonieren: „Niemand hat die Absicht, eine Schuldenunion zu errichten!„ In diesem Kontext erscheint beispielsweise die Beschlußlage der Bayerischen Staatsregierung zur Reform der Eurozone plausibel.
Die bürgerschaftliche Kernfrage bleibt freilich offen: Soll die seit dem Maastricht-Vertrag (1.11.1993) real existierende EU-Staatsbürgerschaft bloß als Wurmfortsatz von 27 oder mehr oder weniger Einzelstaatsbürgerschaften bis zum Sankt-Nimmerleinstag (ad Calendas Graecas) lediglich „mitfolgend“ geduldet bleiben? Diese zu den einzelnen Staatsbürgerschaften des EU-Staatenclubs hinzutretende, zusätzliche Unionsbürgerschaft stellt bis dato durchaus eine integrative wie komplementäre und nicht zuletzt eine pluralistische Projektionsfläche europapolitischer Imagination im Rahmen des EU-Staatenverbunds dar. Besser als gar nichts.
Jüngere „und gebildetere Menschen“ haben „eine positivere Einstellung zu Europa als der Durchschnitt der Bevölkerungen“, wie im DAAD-Newsletter 2/2017 zu lesen war. Es hapere mit der EU-Identifikation. Zu viele Studierende würden sich „nicht aktiv für den Zusammenhalt Europas einsetzen“ und nicht an kontroversen Europa- und Zukunfts-Debatten beteiligen. Mehr Wortmeldungen, mehr Einmischung, mehr intellektueller und intelligenter Streit wären wünschenswert. Es muß ja nicht alles Community-konform und gesellschaftspolitisch en vogue sein. Gutgemeinte, systemjournalistische Mainstream-Elaborate oder mehr verlautbarungsjournalistische EU-Reklame pro Europa oder pro EU reichen zur EU-Identifikationssteigerung nicht aus.
Europe: „it`s so different!“, sagen manche Amerikaner, wenn sie sich beim Herumreisen in Europa zu orientieren versuchen…Was gehört transnational zu unseren heterogenen europäischen Wurzeln? Wieso soll aus der stattlichen Anzahl historischer Identifikationsangebote, die zur Vereinigung der europäischen Staatsvölker, Volksgruppen und ihrer Nationalakteure beitragen können, gerade die Paidèia (παιδεία) herausgegriffen und reaktualisiert werden? Eine schöne, altgriechisch-südosteuropäische Basiskategorie aus dem frühen ersten Jahrtausend vor unsrer Zeitrechnung, deren flexible, langfristige Prägekraft für die aristokratische, polis-demokratische wie auch humanistisch-rhetorische Kultur des europäisch-mediterranen Kulturraums und ihren Pantheon transzendentaler Entitäten vorausgesetzt werden darf. Was spricht dafür? Im Fokus von Παιδεία stehen die optimierungsfähigen Anlagen und Entwicklungskapazitäten von Individuen und ihrer Originalität einschließlich ihrer seelischern Entwicklung. Zusammengenommen ein gravierender Faktor. Παιδεία ist tendenziell pro Individualität und gegen Egalitarismus und Kollektivismus ausgerichtet. Vgl. u.a. Érvíń Lásźló (1963/65). Es macht Sinn, an diesen gegenpolaren, typisch europäisch-mediterranen Dialéxeis (Διαλέξεις) festzuhalten, sie eher neu zu akzentuieren statt sie interrelational, medienethisch oder medienpädagogisch abzuschwächen.
Konträr zur angemessen reaktualisierten Παιδεία wäre auch „Chinesification“ (vgl. MMN 2010: 43) bzw. „Step-by-step-Chinesification“ (vgl. MMN 2011: 132) zu nennen. Mag es in mehrfach vermittelten Medien-Diskursen und Meinungsangeboten vielfach maskiert oder übertüncht werden, oder dieses heikle Thema lieber etwas tiefer gehängt werden: Aus etlichen Interculturality-bezogenen Surveys innerhalb der vergangenen zwei Dekaden (Eurobarometer) zeichnet sich mE eine zwar nicht unbedingt gloriose, aber doch kombinatorisch diskutable Tendenz pro europäische Solidargemeinschaft ab:
Europäer wertschätzen ihre real gelebte Interkulturalität, wollen aber nicht fremdbestimmt werden. Aus meiner Sicht lassen sich aus den aufbereiteten Datenkonglomeraten des Eurobarometers keine Trendaussagen pro Fremdbestimmung dechiffrieren.
Stattdessen dürfte die Gegenhypothese der Wirklichkeit entsprechen:
Europäer wollen weder rundum angloamerikanisiert noch chinesifiziert, weder afrikanisiert noch russifiziert werden. Ad consequentiam wohl auch nicht von prekär legitimierten One-World-Gremien bevormundet oder globalistisch durchdekliniert werden. Es bringt nichts, die damit verknüpften Aspekte und Einflußfaktoren tabuisieren zu wollen. Eine dubiose Mischung an ambitionierten Think-Tank-Elaboraten und globalen Überlegenheitsgefühlen, basierend auf einer logenähnlich fabrizierten, als superior angepriesenen Aufklärungs- und Reset-Ideologie, hilft uns nicht weiter. Auch eine nochmalige christlich-religiöse Tyrannis, wie sie im vierten Jahrhundert unsrer Zeitrechung entstand und bis weit in die Neuzeit dominierte, dürfte wohl in Europa überwiegend chancenlos geworden sein. In diesem Kontext läßt sich eine der heutigen, europäischen Entscheidungsfragen kontrastiv zuspitzen:
Soll die kontroverse, konfliktträchtige, den Wert des menschlichen Individuums akzentuierende, pluralistische Paidèia als affirmatives Superstrat Europas gelten?, oder soll die zu kollektivistischen Gesellschaftsformationen tendierende, monotheistisch grundierte Polittheologie protegiert werden?
Es geht um reanimierende, reaktualisierende, ideologie- und religionskritische, programmatische Aspekte, Argumentationen, um Räsonnement und damit um etwas genuin Rhetorisches. Etwas, das, so scheint es, weder von den Klerikal-Historikern, noch von Konkordats-Theologen oder Staatsphilosophen so recht ernst genommen wird. Intelligible Überlieferungsstränge zur alteuropäisch-mediterranen, originär nichtchristlichen, platonischen bzw. neuplatonischen (z.B. Salustios/Salutius/Sallustius ca. 362/363), nicht-biblischen, nicht-talmudistischen, präislamischen, polytheistisch offenen, undogmatischen Paidèia (παιδεία) haben die Zeiten dennoch unter noch soviel Argusaugen überdauert. Allmählich steht deren Reanimation, Reaktualisierung und plausible Rekonstitution an (von Harnack 1916, Ballauf 1952, Classen ed. 1976, Johann ed.1976, Butler 2005, Bettini 2014). Paidèia ist unabdingbar mit Personal Knowledge (M.Polanyi 1958/62) und individuell zu erwerbender Erziehung und Bildung, mit Rhetorik und Sophistik, mit evolutionär-menschlicher Entwicklungs- und Kommunikationskompetenz, mit nicht retardierender Energeia & Entelecheia verknüpft, mit der Gestaltungskraft und Performanz von Menschen, ihren Polis-Organisationen und Selbstentfaltungskapazitäten. Im okzidentalen, mediterranen und morgenländischen Kommunikationsraum ist dies gut drei Jahrtausende belegbar überliefert durch menschliches Argumentieren, Logik, Götterkritik, Künste, Ontologien, Naturtheorien, Realsystematiken und methodische Techniken, Rhetorik, Kommunikationsphilosophie (Wissens-Konfigurationen über menschliche Lebensführung: kein abgehobenes Staatsparasitentum) sowie Sophistik, die u.a. auch Relations-, Koexistenz-, Kohärenz- und Zuordnungs-Fragen von Mensch, Natur, Kosmos und Metaphysik oder Willensfreiheit erörtert: wobei sie erkenntnistheoretisch bei Dubia und Differenzen ansetzt.
Die Karriere des Individuationsprinzips entwickelte sich zu einem Essential und Erkennungsmerkmal unseres Kultur- und Kommunikationsraums. Nicht zu vergessen: im diskursgeschichtlichen Abhängigkeitsgeflecht von griech.-arab.-mlat. Übersetzungswellen. Ein europäisch-mediterranes Großzeichen, in dem zwar die meisten platonischen, präsophistischen, stoischen, neoplatonischen, rhetorisch-sophistischen und späteren christlich-kontroversen, hebräo-arabischen, auch gnostischen sowie islamischen Konzeptualisierungen im Hinblick auf die empirisch-transzendental zusammengesetzte Konfiguration menschliches Individuum graduell übereinstimmen. Nicht jedoch darüber, wem die geschöpfliche Produktionskraft, die die korruptible Kreatur menschliches Individuum hervorbringt, in welchem Erkenntnis- und Bedeutungsrahmen zweifelsfrei zuzuordnen ist. Obgleich Jahrhunderte hindurch über den Präferenzstatus der konfigurierbaren Komponenten (transzendentale Seele qua substanzielle Wesensform, deren Erkenntniskompetenz, Form vor mitwirkender Materie oder nicht, Funktion der Materia signata, Dependenz-, Kreations- und Modusaspekte der Individuation etc.) engagiert gestritten wurde. Strittig bleibt weiterhin, wer für Defizienzen und Mutationsoptionen einzustehen hätte, wenn als Präsupposition ein Geflecht an Dependenzen fungiert und der Modus connaturalis agendi zwingend zur kreativen Realisierung des göttlich inspirierten und mitbedingten Individuationsprinzips zählt. Parallel dazu stellt sich ohnehin die realitätsangemessene wie süffisante Frage, ob diese kreatürlich-generative Tätigkeit eines konzipierten Solo-Gottes (qua causa universalissima) denn wirklich zu den erhabensten göttlichen Tätigkeiten oder zu den eher delegierbaren, subalternen, weniger erhabenen gehören dürfte…
Diskursiv in Quaestionenform entwickelt und zum Individuationsprinzip traditionsbildend geworden ist z.B. die Lehrmeinung des Duns Scotus (um 1306, ed. Leidi 2015). Nicht zu vergessen: sie argumentiert ebenso wie die damit konkurrierenden, vor allem thomistischen Ansätze, auf der Basis pluraler, europäischer Kommentierungs- und Übersetzungsscholastik. Nicht weniger interessant sind die thomistisch-scotistischen Auseinandersetzungen über dieses Individuations-Sujet in der späteren Scholastik. Kontroverse Explikationen und Kommentierungen finden sich u.a. bei Fr. Suárez (1597: Disp.metaph.V./sec.3).
Auch außerhalb von Scholastik-Szenarien existieren kontroverspublizistische Elaborate, die Statements zur Individuationsfrage beinhalten. Z.B. in der Dialektik von Fr.Schleiermacher (1822, ed. Odebrecht 1942/76: 166-170). Und nicht zuletzt die ketzerische Frage, ob es sich beim Individuationsprinzip evtl. bloß um eine metaphysische Fiktion handeln könnte, wurde von einigen Autoren diskutiert. Bis in die nachtridentinische Scholastik lassen sich dazu vor allem mlat. und nlat. Belege und Fundstellen aufspüren. Weder dies noch die ethische Konstitution oder ontologische Situierung des Individuums in modernen systematischen Philosophien (z.B. bei N.Hartmann 1942 oder L.B.Puntel 2006: Kap. 4.3.) kann hier eingepaßt und entsprechend gewürdigt werden.
Paidèia-relational steht das menschliche Individuum und die menschliche Individuation prinzipiell im Gegensatz zum Abwürgen individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten, im Gegensatz zur beliebig quantifizierbaren Gleichmacherei; unteilbar durch Gruppen-Uterus und Kollektivierung, im Gegensatz zur Kirchenmaus-Mentalität oder zur bürokratisch-pragmatostalinistischen Formierung. Das formale, institutionell installierte, zeitgeschichtlich konkrete Design oder die jeweilige Maskierung von Kollektivierungs-Arrangements, all dies ist nicht das Entscheidende. Sozialkommunikation gibts auch bei Ameisen. Menschlichen Intellekt, menschliche Individuation, selbstreflexive Sinnstiftung, rhetorische Subjektivität und rationales Rhetorik-Framework nicht.
Sachreferentiell durchdringt Paidèia (παιδεία) Interkulturelle Kommunikation (ed. B.Spillner 1990) wie Internationale Kommunikation (Kent/Rush 1977) und trägt zu deren Paradigmen und Frameworks bei. Ebenso zur Formulierung und Problematisierung konstituierender Asymmetrien, Kontext-Konfigurationen und Suprematien. Auch zu bestimmten Kernfragen menschlicher Kommunikation: Wie wird ein fremdes System zum Partner? Wie artikuliert und manifestiert sich Persuasionsresistenz? Oder generell: Wie sind available Data, Logik, Sprechdenktätigkeit, Cognition & Communication mit ausgewählten Meßmethodiken bearbeitbar problemlösend zu kombinieren?
Umgangssprachlich gesagt ist die hier aufgegriffene Paidèia-Frage weder christlich-jüdisch noch muselmanisch inspiriert. Dies ist als epistemologische Präferenz oder kontextuale Primärproposition zu verstehen und hängt mit dem systematischen Interesse am rhetorischen Menschenbild zusammen.
Wodurch kein Agnostizismus vorgegeben wird. Wohl aber eine distinktive Distanz zu den Tres Barratatores bzw. Tres Impositores, zwei ehemals noch zur Stauferzeit nicht nur im griechisch-arabisch-lateinisch-normannischen Kultur- und Sprachkontaktraum Siziliens und Süditaliens kursierende Konnotate bzw. mittelalterliche Kampfbegriffe, die den drei hochgelobten Religionsstiftern Moses/Μωσῆς/Mūsā, Jesus/Joshua und Machomet/Mohammed gesprächsweise despektierlich attestiert worden sind und die sie in gewisser Weise demaskieren sollten. Denn die Impression, diskursive Erwägung oder kombinatorische Kognition, daß die drei gepriesenen, monotheistischen Paradereligionen ihre Genesis doch erheblich der raffinierten Kreativität ihrer Stifter verdanken, war zunächst in der islamischen Welt frühzeitig verbreitet gewesen (vgl. Graefe 1909, Niewöhner 1988). Darin allerdings nicht einmal vage in dafür infrage kommenden Mischpopulationen und Kulturkontakt-Arealen konkret lokalisierbar. Ein anonymer, eindringlich formulierter, als einflußreich einzustufender Traktat zu diesem gewiß nicht leicht einzuschätzenden, nonkonformistischen Überliefungsstrang über jene drei Betrüger/Bluffer bzw. Religionsstifter wurde in Frankreich erst im 18.Jahrhundert publiziert (1719, 1768/93 siehe Anonymus ed. W.Schröder 1992). Dieses Phraseolexem bzw. Topic von den drei nicht kritikfrei zu bewertenden Religionsstiftern beinhaltete im 13.Jahrhundert, zumal angesichts oszillierender Konflikte und Spannungen zwischen Kaiser und Papst, im Auseinandersetzungsszenario und Kontroversdialog der beiden größten abendländischen Kommunikations- und Machtrepräsentanten, eine Portion an schier unkontrollierbarem Zündstoff.
Es scheint daher nicht verwunderlich, daß z.B. der Stauferkaiser Friedrich II. im persuasiven Spannungsfeld jener Tres Barratatores bzw. Tres Impositores zeitweise als publizistische Zielscheibe benutzt wurde. Friedrich II., ein ebenso charismatischer wie interkulturell sozialisierter (mlat., griech.-byzant., arab.) Machtmensch und gebildeter Skeptiker – „jener große Freigeist, das Genie unter den deutschen Kaisern“, wie Nietzsche ihn 1888 im Antichrist-Manuskript (Aph. 60) charakterisierte – hatte sich zu Lebzeiten einige päpstlich promulgierte Exkommunikationen eingehandelt. Kontroverspublizistische Aufmerksamkeit wurde vor allem dem zweiten Bannfluch Papst Gregors IX. 1239 gegen Kaiser Friedrich II. (mlat. „iste rex pestilentie„) zuteil. Angeblich hatte sich der Stauferkaiser zu ein paar drastisch derangierenden Bemerkungen „a tribus barratatoribus … Christo Jesu, Moyse et Machometo, toto mundum fuisse deceptum„(MGH, epist.saec.XIII/1: 653) etc. hinreißen lassen. Hieb- und stichfeste, manifeste Ausgangsdaten und Nachweise fehlen freilich dazu. Wieweit dieses narrativ überlieferte Phraseolexem, die zweigliedrige Wortgruppe von den tres Barratatores bzw. tres Impostores oder Impositores in welchen Kommunikationsformen gesprochener Sprache und in welcher Situierung wirklich zum gelehrten, kontroversen Gesprächsbasiswissen über diese drei Religionsstifter gehört haben mag, ist ohnehin kaum mehr eruierbar. Möglicherweise waren die Vorwürfe an den profilierten Stauferkaiser bloß propagandistisch unterstellt, d.h. die propäpstlichen Parteigänger versuchten ihn europaweit zum publizistischen Aggressionsobjekt zu machen. Heute würden wir sagen: er könnte damit „geframt“ worden sein. „Gründe“ dafür mag es mehrere gegeben haben. Dazu existiert viel Sekundärliteratur in Gestalt klerikaltheologisch konfessioneller wie staatlicherseits alimentierter, teils pedantisch argumentierender bis uninteressanter Lehrmeinungen. Trotz alledem: Es geht hier nicht um Bagatellisierung oder Beschuldigungs-Ping-Pong, sondern um unverfilzte Distanz zu unilateralen Absolutheitsansprüchen monotheistisch motivierter Mega-Theologien.
Institutionspolitisch gesehen und langfristig folgenreich war die erste, von einem römisch-deutschen Staufer-Kaiser, Friedrich II. als König von Sizilien gegründete Staats-Universität zu Neapel 1224 f., obzwar sie nur langsam voran kam und nicht kurzfristig schon mit Bologna, Paris oder Parma konkurrieren konnte. Diese erste europäisch zu nennende Staats-Universität Neapel 1224/40 wurde ohne päpstliche Bulle und gezielt kontrapapalistisch gegründet, geleitet von einem royalen Kanzler, agierend und existierend unter royaler Gerichtsbarkeit. Was aus einem Machtsicherungs-Kalkül heraus realisiert wurde: Kaiser Friedrich II verhinderte auf diese Weise, daß seine Administratoren von päpstlich kontrollierten und protegierten Studieneinrichtungen in Norditalien ausgebildet werden mußten. Außerdem gelang es ihm dadurch, eine klerikal-unabhängige, papstfreie Elitenausbildung zu initiieren.
Um einen definitiven Wahrheitspluralismus in ontologisch-metaphysischer und hermeneutisch-transzendentaler Hinsicht kommen wir im 21.Jahrhundert nicht mehr herum. Systematische Rhetorik (Nickl 1980, 1983, 2010, 2011) läßt logisch mehrwertigen Wahrheitspluralismus gelten und setzt ihn sogar voraus. Beim rhetorischen Menschenbild geht es nicht um optimale Letztbegründungsakrobatiken, die womöglich vom Phonetischen bis zu einer gerade en vogue gehandelten, kosmologisch-physikalischen Standardtheorie ausgreifen. Auch hier wird kein pflegeleicht säkularisierter, theologisch aufgemotzter Monotheismus traktiert. Das freilich nur rudimentär und verstümmelt überlieferte, alteuropäisch, mediterran und mehrsprachig facettierte, rhetorische Menschenbild basiert auf eklektisch-plurikulturellen Bestimmungsstücken und soweit ersichtlich, nicht auf irgend einer dogmatisch fixierten, monotheistisch-reduktionistisch exklusiven Zwangsbeglückung, deren wahrheitsträchtiger Sinn sich in einem grandiosen Finale furioso vollendet. Dessenungeachtet greifen wir auch kaum umgehbare, traditionelle oder leicht angestaubte Bestimmungsstücke auf, denen man nicht gleich ansieht, ob sie heilig sind oder profan.
Freiheiten und Freiheitsgrade sind nicht nur in europäisch-mediterranen Kommunikationsräumen und Überlieferungsszenarien permanent umkämpft. Wertetafeln sind nicht unabänderlich selbstevident oder in hac lacrymarum valle zur allgemeinen Besänftigung göttlich vorgegeben, sondern müssen etappenweise in der Intellektuellen Kommunikation mit dem Intellectus discursivus, sowie in Mainstream-Medien und in den Social Control Media durchargumentiert, kontrovers evaluiert und demokratisch diskutiert werden. Daß auch im 21.Jahrhundert noch M.T. Ciceros anklagende, spöttische Simulatio-Wortgruppe vom „iste bonus imperator„(in Verrem II-5,26) auf manch EU-externe, zeitgenössische Herrscherfigur und wohl häufiger noch auf personifizierbare Bürokratie-Exzesse applikabel erscheint, darf als rhetorisch ergänzender Beleg für dieses permanente Umkämpftsein von Freiheiten und Freiheitsgraden gelten.
Free Speech & Self-Determination statt Political Correctness, Kniefallpolitik & Zensurparteien! Keine Strangulierung der Meinungsfreiheit, Redefreiheit und Stimmfreiheit! Zwangsbeitragsfinanzierter Medien-Konformitätsdruck oder staatliche Privilegierung von Glaubensfragen oder gar philochristliche Zwangsbeglückung sind längst obsolet geworden.
Zwar hatte schon Karl Martell anno 743 auf dem Verordnungsweg gegen paganreligiöse Bräuche & Kulte durchgegriffen (Synode von Estinnes, Bonifatiusbrief 56 in den MGH-Epistulae, p.102, Zeilen 21-23: Decrevimus quoque …). Derlei machtpolitisch und monotheistisch motivierte Blasphemie gegenüber den Old Ones konterkariert auch eine Kernforderung von Septuaginta & Thora, andere, fremde Götter (θεοὺς) nicht zu schmähen (Exodus 22, 27).
Zum andern verstellt ein quasi-staatskirchlich inspirierter, christliche Confessiones repräsentierender, reduktionistischer Kruzifix-Fetischismus, wie Mitte 2018 im Freistaat Bayern dekretiert und promulgiert (Bayr. Gesetz- & Verordnungsblatt 8/2018: 281), ein weiteres Mal die plurireligiösen Freiheiten. – Ob mit korpuslosem Kreuz symbolisiert wird, spielt keine wesentliche Rolle. Unter anderem verstellt ein institutionell durchgesetzter, repräsentativer Kruzifix-Fetischismus auch die residuale Götter-Genealogie, zuzuordnende Mythen und verwickelte Überlieferungszusammenhänge Europas, ebenso die hervorgegangenen, divergierenden, uneinheitlichen Spiritualitäten. Weder korpusloses Kreuz noch Kruzifix taugen als Toleranzsymbol. Ein institutionell durchgesetzter, repräsentativer Kruzifix-Fetischismus stellt eine verordnete Komplexitätsreduktion, mithin eine weitere Weltbildvereinfachung dar. Alles andere als ein Toleranzsymbol. Oder soll angesichts der europäischen und mediterranen Militärgeschichte, Kriminal- und Staatskirchengeschichte prompt nach einem Aspekt freistaatlich angewandter Volksverblödung gefragt werden?
Und die Präferenz auf drei bekannte, in Europa weithin institutionalisierte und gesellschaftspolitisch etablierte, orientalische Monotheismen – genauerhin: Exklusiv-Monotheismen – greift angesichts heutiger, schier unignorierbarer, wissenschaftlicher Kosmologie-Ansätze epistemologisch zu kurz. Diese These erscheint vertretbar, obwohl wir weder auf die Debatte zwischen Monismus und Pluralismus in der Ontologie eingehen, noch Fragen zur systemsprachlichen oder theoretischen Rolle von Metaphysik und Metametaphysik oder zum Wahrheitspluralismus beantworten können. Auch mit postmetaphysischer oder postmodernistischer Behauptungslogik befassen wir uns hier nicht.
Grundsätzlich läßt sich weder das Logische noch das Rhetorische auf innerweltliche, nicht-theologische Gegenstände, Relationen und Kohärenzen eingrenzen. Also im strikten Gegensatz zu dem, was seit den Pariser Universitätsstreit-Etappen 1229/31 und 1252/66 an vielen Studieneinrichtungen oder Universitäten klerikal oder in späteren Jahrhunderten mehr und mehr staatlicherseits bis in die Gegenwart fehlinstitutionalisiert, nachgebetet oder kulturbürokratisch erzwungen wurde. Rückblende: Im Paris des 13.Jahrhunderts hatten die Grammatiker, Literaten, Logiker und Rhetoriker der Artisten-Fakultät den Kompetenzstreit gegen die Mendikanten bzw. Ordenstheologen, Priester und Klerikalhierarchie desaströs verloren (Zimmermann ed.1976).
Was das Grammatische, Sprachlogische und Rhetorische zusammenhält,
sind die Modi Significandi: diese grammatiktheoretisch bzw. linguistisch, sprachlogisch, rhetorisch sowie in realsystematischen Arealen tradierten Modi Significandi stellen intermediäre Bedeutungs-, Interpretations- und Repräsentations-Niveaus der menschlichen Sprechdenktätigkeit dar. Sie fungieren als interpersonale Vermittlungsmodi sprechsprachlicher Kommunikation (Nickl 1996, 2009). Sprecherseitig betrachtet: Menschliches Sprechdenken als exteriorisierende, suffiziente, sprechsprachliche Ποίησις/Hervorbringung (muß nicht perfekt sein), parallel dazu deren psycholinguistische Repräsentation, deren theoretische Perspektiven (θεωρίαι/Sichtweisen) und ggf. die damit in actu verknüpfte Πρᾶξις. Auditiv muß das Hörverstehensprodukt reproduktiv aufgebaut werden, sprechsituationsangemessen. Artifiziell isolierte, nicht nur kommunikationstheoretisch relevante Kontextzuordnungen ignorierende, sondern die komplexen Segmentierungsprobleme gesprochener Sprachen augenphilologisch überspringende Begrenzungen verbum ex verbo sind fehl am Platz und nicht selten irreführend.
Argumente, Argumentationen, Denkmuster und Kategorien der Sprachlich-Öffentlichen und Politischen Kommunikation – wie Dissoi logoi, Paidèia, Persuasion, Rhetorik – betrachten wir hier nicht als säkularisierte Bestimmungsstücke aus dem Anspruchsarsenal von Theologien. Ästhetik, Ataraxie, Askese, Kognition und Meditation, Musik, Politik, Sport, Dekadenz und Renaissance-Etappen, Pluralismus, Buddhismus, Hinduismus, Papsttum und Völlerei, Vielfalt und Wechsel der Staatsformen, Natur, Transzendenz, Sein und Seindes, Steuergesetze und soziologische Sumpfblüten, über siebentausend Sprachen auf dieser Erde – wie auch immer wir Aspekte der Welt artikulieren oder taxieren, in summa: die „Unschuld des Werdens„, menschliche Lebenswelten und menschliche Evolution bedürfen keiner theistischen Mitwirkung. Kommunikationskompetenz, Würde und transzendentaler Impact des Menschen [„Seele“ samt Emanzipations- und Entwicklungsoptionen] hängen nicht von monotheistischen Allmachtsphantasien und damit einhergehenden, repressiven Denkweisen und dementsprechenden Gesellschaftsmodellen ab. Auch massenlenkungspolitisch und machtsicherungsmotivierte Konkordate zwischen Staaten und Kirchenfunktionären sollten in Europa längst obsolet geworden sein: fallen sie doch eklatant hinter das Religionsfreiheits- und Restitutionsedikt Kaiser Julians vom 4.Februar 362 zurück.
Die plurifaktoriell und programmatisch konstituierte Paidèia greifen wir aus der stattlichen Anzahl historischer Identifikationsangebote, die zur Vereinigung der europäischen Völker und ihrer Nationalakteure beitragen können, heraus. Es geht nicht etwa ums altphilologische Auspressen einer ausgepreßten Zitrone. Die schrittweise und selektive Vortragsmethode bleibt an die Ratiocinatio rhetorica gebunden und sicherlich auch an persönlichen Präferenzen orientiert: hermeneutisch-kritisch, reintegrativ und rekonstruktiv-interpretierend. Angezielt werden einige „geländegängige“, humankommunikationstheoretisch diskussionswürdige bis tragfähige Einsichten. Mit vagem Vorverständnis läßt sich sagen, daß die antike Paidèia eine Tendenz zu einer gewissen Balance oder zumindest zur Ausbalancierung konträrer, undurchsichtiger bis widersprüchlicher humankommunikativer Asymmetrien und Kräfte, wenn nicht gar zu einer gewissen Harmonie aufwies:
Παιδεία/paidèia klingt europäisch, scheint aber was Uraltmodisches und verdächtig Heidnisches zu sein. Dennoch hat Paidèia ebenso wie Europa keine integrale mythische Bedeutung. Obzwar sich der Prometheus-Mythos plausibel zuordnen läßt und sich Europa und der Zeus-Stier gut vermarkten lassen. Die alteuropäisch-hellenistische und spätrömische Paidèia ließ sich weder von der abrahamitischen Gotteserzählwelt und ihrem strapaziösen Exklusiv-Monotheismus, weder vom Judentum in Palaestina, noch vom Christentum und seinem galiläischen Mediator (Jesus), noch im Frühmittelalter vom Islam beeindrucken. Obgleich mittel- und neuplatonisches Schrifttum ins Arabische übersetzt und noch im 10./11.Jahrhundert weiterentwickelt wurde (Abū Naṣr Muhammad al-Fārābī/Alpharabius ca.870-950, Abū Alī al-Husain ibn Abdullāh ibn Sīnā/Avicenna ca.980-1037).
Erst in der Hochscholastik des 13.Jahrhunderts und im 15./16.Jahrhundert während der Renaissance änderte sich das in Europa. In seinem Erstling „De ente et essentia“ (etwa: Über Sein/Seiendes und Wesen), verfaßt um 1255 für seine Dominikaner-Mitbrüder, setzte sich Thomas von Aquin mit al-Fārābī, Avicenna, mit dem jüdisch-arabischen Solomon ben Jehuda ibn Gabirol/Avicebron (ca.1021/22-57), sowie mit dem spanisch-arabischen Arzt und Vernunft-Philosophen Averroës/Abū l-Walīd Muhammad b. Ahmad b. Muhammad b. Rušd (1126-98) konstruktiv-kritisch auseinander. Die interreligiöse, kontroverspublizistische und systematische Abhandlung, später mit „Summa contra Gentiles“ betitelt (etwa: „Summe gegen Andersgläubige und Heiden“), folgte um/nach 1270. Das Werk ist komplett überliefert und war viele Jahrhunderte ein einflußreicher interkultureller „Primer“ (vgl. MMN 2006).
Paidèia gilt hier als heterogenes, tendenziell nicht komplett harmonisiertes, transformationsfähiges Arrangement von konzertanten, konkurrenziellen, komplementären Bildungs- und Wertsystemen, Wissenschaften, Wissensformen, ebenso Künsten und Sportarten, mit graduell unterschiedlich gewichteter Respektierung bestimmter Interpretationskulturen und Traditionen. Je nach Überlieferungsniveau, Standpunkt und Perspektive. Lineamenta, Umrisse und Zugänge zur res-publica-orientierten, pluralistischen, freiheitlich-demokratisch entfalteten, konkurrenziellen und komplementären, ergo konfliktträchtigen, spannungsreichen, europäischen Paidèia kommen nicht ohne Rückgriffe auf römische, hellenistische, mediterrane und nicht zuletzt abendländische Kultur-Essentials und ihr rhetorisches Menschenbild aus. Es ist in der antiken Menschheitsidee verankert und bezeugt den Primat der Paidèia vor einer einzelnen, alleinseligmachenden Religion oder einer prädominant tonangebenden Region, Aristokratenkohorte oder Priesterkaste mit offenen oder elegant cachierten Dogmatisierungs-, Unifizierungs- oder Totalitätsansprüchen. Diese nicht nur auf den ersten Blick disharmonisch komplementäre, konfliktträchtige Potenz von Paidèia, liefert auf den Kulturraum insgesamt bezogen dennoch eine Art ausbalancierende und harmonisierenderweise identitätsstiftende „Betriebsspannung“. Auch wenn es noch so paradox erscheinen mag: Vor allem existierende Differenzen, Gegensätzlichkeiten, Verschiedenartigkeiten, Widersprüche und Spannungsverhältnisse halten sie zusammen, mögen sie noch so bizarr und transversal konstituiert sein. Es sind scheinbar weniger, jedenfalls nicht ausschließlich die Einheitlichkeiten, Parallelitäten, Unifizierungsansprüche und gesetzlich verbrieften Ordnungsmodelle, welche Paidèia effektiv in Balance halten. Derlei fokussiert auf individueller, interpersonaler, gruppen- und stammesgeschichtlicher Entwicklung, Emanzipation und Volksgruppeninterferenz, ist freilich irritierend, varietätenreich facettiert, ergo wesentlich uneinheitlich und bleibt voller gravierender Widersprüche. Leider kann ich die nicht elegant auflösen.
Das Telos von Paidèia ist kein Sichhineingeheimnissen in eine Gottheit. Die Attraktivität und Motivationskraft von Paidèia fußt nicht auf liturgischen Gebärden, apokalyptischen Gefälligkeiten, Visionen oder Heilsversprechen.
Gleichwohl soll Paidèia und ihre Abgrenzungen, alteuropäischen Entwicklungslinien, Erneuerungsbemühungen und Umwege hier nicht in extenso ausgewalzt werden. Nur pauca, wenige programmatische Punkte kommen zur Sprache. Frageinteresse bleibt: was ist dran aktualisierbar?, und was erscheint (mit allerlei Einschränkungen) überzeugend? In der Rückschau erweist sich Paidèia zwar als erstaunlich pluralistisch und toleranzfähig, aber leider nicht als kontinuierlich strahlende, Toleranz praktizierende, kulturreproduzierende, suprainstitutionelle Verbindlichkeit, also ebenfalls als pervertierbar. Im christlich-jüdischen Interpretationszirkus rangiert die hellenistische Paidèia doch eher despektierlich als was „Heidnisches“ voller absurder Cartoons und pervertierter polytheistischer Bestimmungsstücke. Von perspektivenreichen, raffinierten Übernahme-Versuchen und mehrsprachigen, mühevollen Uminterpretationen abgesehen. Geht es also um obsoletes Heidentum als aufpolierte Bildungsprogrammatik mit europapolitischem Integrationspotenzial? Das sogenannte „Heidnische“ bzw. „Pagane“ als das, was übrigbleibt, wenn man die Eliten, Tempel, Ressourcen und Riten intelligibler und tradierter Konkurrenzreligionen abfackelt sowie sozial zerstört und die dann immer noch verbliebenen, nicht mehr komplett aus der Welt zu schaffenden Überlieferungsrelikte quellenmanipulativ ins Dämliche oder Diabolische umdefiniert und umwertet.
In diesem reaktualisierenden Kontext interessieren hier bewußt keine christlich-jüdischen Paidèia-Modifikationen, keine sehnsuchtsvollen, monotheistisch intendierten Mainstream-Soteriologien voller Allmachtsphantasien und Einschüchterungspredigten oder mehr oder weniger geschickter, pädagogisch-doktrinärer Umprägungsversuche der europäisch-mediterran uneinheitlichen, zweifellos mehrdeutigen, teils paradoxen und Widersprüche einschließenden Paidèia in den diversen Spannungsfeldern von alteuropäischen und spätantik-synkretistischen Systemen und Mysterienkulten.
Ausgenommen bleibt der prototypische Kulturkampf um die Durchsetzung des Unterrichts- & Rhetorenedikts vom 17.Juni 362 und das hellenistisch inspirierte, eher föderal-intermediär angelegte, unzeitgemäß korruptionsfeindliche, partnerschaftlich-symbiotische Gesellschafts- und Herrschaftskonzept Kaiser Julians, der jedenfalls die Etablierung einer christlich-klerikalen Parallel-Hierarchie im seinerzeitigen, graeco-romanischen Imperium verhindern wollte. Dennoch bad timing: Die überlieferungstreue, polytheistische Bildungselite konnte im ausgehenden 4.Jahrhundert keine durchgreifende Renovation zugunsten eines logisch-mehrwertigen und mehrdeutigen Pantheons durchsetzen. Die Kampffront verlief entlang der Antinomie von pluralistischer Paidèia samt komplexen und variantenreich überliefertem Polytheismus oder dem repressiven Exklusivprimat des etappenweise kanonisierten Christentums mit Unterordnung unter klerikale Autoritäten.
Kommunikationsgeschichtlich betrachtet, handelt es sich beim erwähnten Gesellschafts- und Herrschaftskonzept Kaiser Julians und seinem Scheitern keinesfalls nur um kulturkämpferische Episoden mit ein paar effektiven Dämonisierungen, Marginalisierungen und Verketzerungen. Auch wenn etliche monotheistisch motivierte Interpreten dies im christlich-kirchlichen Design oder im Rahmen christlich-jüdischer Domänenbildungen in einigen Interpretationssträngen argumentativ mehr oder weniger so bagatellisiert haben. Und literarisch-philologisch mit staatlicher oder sonstwie gesponserter Schützenhilfe bei diesem Topic wieder und wieder „gesiegt“ haben. Bis hin zur verfassungskonform institutionalisierten Realsatire des zeitgenössischen Konkordats-Unwesens.
Die Einschätzung jener Julian-relationalen Problemlagen und Szenarios bleibt aber nach wie vor strittig. Unstrittig gewiß, daß deskriptiv zuordnungsfähige Paidèia-Rudimente oder Amalgamierungen auch bei Kirchenfunktionären und Christen jeglicher Couleur segmentierbar erscheinen.
Charakteristisch bleiben diese verhängnisvollen Ereignisse freilich für die traditionelle Kohärenz des europäisch-mediterranen Kommunikationsraums und für seine generative Chancenverteilung zur freiheitlichen Identitätsbildung. Und nach wie vor stellt sich auch noch die Frage:
Wer waren eigentlich die wahren Apostaten und Weltbildvereinfacher?
Stichworte: christliche Bücherverbrennungen seit der Spätantike,
pars pro toto seien erwähnt: z.B. die öffentliche Verbrennung der systematisch ausgeführten bibelkritischen Schriften des Porphyrios, einer der kompetentesten Gegner des Christentums (vgl. auch weiter unten);
ebenso das Schicksal der Alēthḗs lógos des Kelsos. Ähnlich erging es dem antichristlichen Spätwerk Nómon syngraphé des Geṓrgios Gemistós [„Plethon„], das 1454 auf Befehl des Patriarchen von Konstantinopel (Gennadios II. Scholarios) verbrannt wurde; obschon Fragmente davon und eine Zusammenfassung überlebten.
Zur klerikalen Unterdrückungsgeschichte der wirklichen Rede- und Publikationsfreiheit gehört u.a. auch, dass Redefreiheit während des gesamten europäischen Mittelalters im allgemeinen bloß als Kanzelberedsamkeit praktiziert werden konnte und eben nicht als öffentliche Meinung oder Meinungsäußerungsfreiheit sanktionslos toleriert wurde. Mit Blick auf die freiheitliche Sonderrolle der Kanzelberedsamkeit könnte man durchaus dafürhalten, dass „das Mittelalter“ in Mitteleuropa erst mit dem Ableben der sogenannten „DDR“ Ende 1989 endgültig oder evtl. auch nur bis auf Widerruf zu Ende gegangen ist.
Redefreiheit gepaart mit Abstimmungsfreiheit, also eine gewisse „konziliar-parlamentarische“ Artikulations- und Stimmfreiheit gab es, wenn auch nicht schrankenlos, auf mittelalterlichen Provinzialkonzilien, Bischofssynoden, größeren, allgemeinen oder ökumenischen Konzilien in Relation zu den jeweils angenommenen oder vorgegebenen Geschäftsordnungen und im Bezug zu manifestierten, disputatorischen Gepflogenheiten. Keinesfalls zu verwechseln mit der Rolle der Öffentlichen Meinung und der generellen Freiheit der Meinungsäußerung als wesentlicher Bestandteil auch in der Kirche. Deren entscheidende Rolle wurde vom Vatikan erst Mitte des 20.Jahrhunderts im Rahmen der Ansprache Papst Pius XII. an den III. Weltkongreß der katholischen Presse vom 17. Februar 1950 akzeptiert (AAS 42, 1950: 251-257), zweckmäßigerweise.
Kommunikationsgeschichtlich weiter zurückgreifend sei
an den prototypischen Streit um den Victoria-Altar erinnert:
Paidèia statt vorinstallierter Polittheologie:
Ein prototypisches Paidèia-Segment, wenn nicht ein Leitmotiv läßt sich aus der ´dritten Relatio` (9. und 10. Abschnitt) des Senators und Stadtpräfekten von Rom, Quintus Aurelius Symmachus (ca. 342/345 bis 402/403 ? n.Chr.) zuordnen. Symmachus war zweifellos ein Protagonist spätrömischer Toleranz, respektierte die überlieferten Kulte und Gottheiten sowie deren Spiritualität in zeitgemäßer, platonisch-philosophisch und rhetorisch vermittelter Form und setzte sich im Jahr 384 n.Chr. für die Wiederaufstellung des Victoria-Altars im römischen Senatsgebäude ein: vor dem noch minderjährigen, 371 in Trier geborenen, römischen West-Kaiser Valentinian II.
Eine Personifikation dieser Victoria siehe Bibliotheca Augustana
https://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost04/Symmachus/sym_re03.html
Wobei es lediglich um das personifizierte Sieges-Symbol „Victoria“ ging. Und nicht etwa um eine bestimmte göttliche Entität der zwölf Dei Consentes oder eine exemplarische Entität aus dem Kreis der zahlreichen weiteren römischen Götter:
“Vivam meo more, quia libera sum! … Aequum est, quidquid omnes colunt, unum putari. Eadem spectamus astra, commune caelum est, idem nos mundus involvit. Quid interest, qua quisque prudentia verum requirat? Uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum” (Kernaussagen im 9. und 10. Abschnitt der dritten Relatio des römischen Senators Q.A. Symmachus).
Verdeutlichend ins Deutsche übertragen:
„Nach meiner Lebensweise möchte ich leben, weil ich frei [und nicht als Sklave geboren] bin! … Es ist gerechtfertigterweise akzeptiert, daß gerade dies, was alle [Menschen] pflegen und verehren, als Eines [etwas alle integral Umfassendes angesichts der Vielheit von Verehrungsformen] anzusehen ist. Wir sehen die gleichen Sterne an, der Himmel ist uns gemeinsam, dasselbe Weltall schließt uns ein. Was ist so wichtig daran, mit welchem [noch so ambitionierten] Lehrsystem (prudentia) ein jeder die Wahrheit sucht? Nur auf einem [einzigen] Weg zu solch einem erhabenen [kosmologischen] Geheimnis zu gelangen, das ist nicht möglich“.
Der römische Stadtpräfekt, Konsul und Senator Quintus Aurelius Symmachus scheiterte bekanntlich an Interventionen intolerant-restriktiver Bischöfe und Polittheologen der damals dominierenden christlichen Glaubensrichtungen, die in der Folgezeit die pluralistische Paidèia mit ihrer Glaubensvielfalt und wissenschaftlich fundierten Kritikfähigkeit gegenüber dem Christentum komplett abwürgen konnten. Mit skrupellosen Zerstörungsmitteln.
Christenkritische Schriften wurden verbrannt. Konkurrierende Kulte eliminiert, deren Repräsentanten desavouiert und entrechtet. Bekanntes Beispiel: Die 15 Bücher umfassende Schrift des neuplantonischen Gelehrten, Plotin-Herausgebers und Religionskritikers Porphyrius/Πορφύριος (geb. ca.233 in Tyros, † um 301/305 in Rom) „Katá Christianōn/ Gegen die Christen“, zu datieren zwischen 268 und 279 „ist bis auf wenige Fragmente verloren. Bereits Constantin der Große hatte auf dem Konzil von Nicaea ihre Vernichtung angeordnet, die letzten Exemplare wurden auf Befehl der Kaiser Theodosius II. und Valentinian III.“ [zur Mitte des 5.Jahrhunderts 435/448 n.Chr.] „vernichtet...Ihre Gefährlichkeit läßt sich auch daran ersehen, daß von christlicher Seite umfangreiche Gegenschriften erschienen, von Eusebius von Caesarea (25 Bücher), Appolinaris von Laodicea (30 Bücher) und vielleicht auch von Hieronymus“(Gyot/Klein 1997, II: 345 f.). Von Porphyrius` akribisch-systematischem Werk „Gegen die Christen“ sind sämtliche Abschriften und Handschriften mit staatlicher Unterstützung eliminiert worden.
Paidèia rangiert als Sammeltitel für teils vorchristliche, teils engagiert nichtchristlich-nichthebräische, überwiegend nicht-monotheistische, pluritheistisch bis polytheistisch orientierte, jedenfalls nicht-totalitäre Erziehungsanstrengungen und Bildungscurricula, die die Einmaligkeit und Verschiedenartigkeit, mithin Identität, Differenz, Gegensätzlichkeit, Widersprüchlichkeit, auch die Originalität, Ungleichheit und Unwiederholbarkeit, damit die konkrete Existenz von Individuen und ihrer jeweiligen empirischen wie spirituellen Persönlichkeitsentwicklung akzeptiert, fordert und fördert. Nicht mit Spielarten des Atheismus zu verwechseln.
Inklusiver Monotheismus, z.B. im synkretistischen Design von Mithraismus oder Sol invictus, eine Art Monolatrie, wird andererseits akzeptiert. Es geht nicht um einen unifizierten, mythologisch vereinfachten Einheitsbrei. Evidenterweise artikuliert Paidèia einen Schlüsselbegriff zum Verstehen antiker, graeco-mediterraner und zum nenneswerten Teil europäisch-römischer Kultur. Diese uneinheitliche, Gegensätze in sich verarbeitende, widerspruchserprobte Paidèia hält die Sensibilität für musikalische, pädagogische wie transzendentale und religiöse Pluralität wach. Ergo: kein Abonnement auf absoluten Monotheismus und sündhaft teure Konkordatspolitik. Sondern viel Sensibilität für real Versagtes. Etwas für selbstbewußte, stolze Europäer und weniger was für Parteipolitiker mit Herrgottswinkel-Mentalität.
Rückgriffe auf neuplatonisch beeinflußte Paidèia, römische Kommunikationspädagogik, ihren Wertekanon und ihr alteuropäisch-rhetorisches Menschenbild sind heute zwar begründbar und aktualisierbar, aber wozu? Geht es ums Primat der Paidèia vor Religion und Region? Ja. Um EU-mitgliedstaatliche Kulturkompetenz? (teils-teils). Oder gar um die Bejahung von Staatsethos? Ja (aber keineswegs uneingeschränkt). Und zwar ohne Vergötzung oder Verherrlichung formaldemokratischer Fassaden und Reglements. Wie Leistungsdruck und Zeitdruck bei der Qualitätsproduktion politischer Entscheidungen jedenfalls ein typisch europäischer Problemkreis. Generiert von der Legitimationskraft der Unions- und Staatsbürger. Paidèia bejaht und akzentuiert Personenrechte, ist wesentlich pluralistisch, pluriethnisch, plurikulturell, rationalenzyklopädisch, aber nicht wertfrei und nicht zentralistisch sondern dezentral komponiert, rafft nicht bloß omnia ex omnibus zusammen. Paidèia bedeutet das offene Tor der Welt, unabdingbar, ist jedoch kein additiv konzeptionsloses Multikulti aus gebildeter und ungebildeter Mitwelt, kein Telos der Spaßgesellschaft. Bildungsfortschritte im Sinne von Paidèia sind persönlich zu erwerben.
Erziehung und bindende Führung bedeuten Anstrengung, im Sinne der Paidèia lebenslange Anstrengung, Mühe, Übung, ethische Festigung, sachliche Angemessenheit, Ausbalancieren von Emotion und Kognition mit Einstellungsvariantenänderungen, Gefahr der Marginalisierung, auch Verzicht und Zwänge. Menschenreich, Nous, göttliche Weltvernunft (heute: „Intelligent Design“) und Götterwelt werden auseinandergehalten, die Differenz von Aletheia und Doxa bewahrt, ohne etwaige Einsichten in die eine oder andere Richtung zu blockieren. Paidèia sträubt sich nicht gegen verbriefte Rechte. Gleichheit vor dem Gesetz, bürgerliche, politische und wirtschaftliche Freiheiten, Staatsethos und Werte wie Arbeit, Libertas, Freundschaft, Humanität und Menschenwürde, Concordia, Conscientia, Consilium, Cura (Sorge und ordnende Kraft), Solidarität, Iustum bellum, Moderatio, Officium, Pietas, Pax (Frieden als gesicherter Rechtszustand), Urbanitas, Vorfahren, Virtus, nicht zu vergessen Leges, Iura, Iudicia, Tranquillitas, Securitas, um einige zu nennen. All diese schönen Werte werden nicht automatisch durch den Markt erzeugt. Der Markt allein generiert weder Solidarität noch Subsidiarität. Politik muß Macht dafür mobilisieren, damit sich die Renaissance pluralistischer Paidèia durchsetzt. Sonst wird der Einfluß ressourcenreicher, quasi-staatskirchlich privilegierter Religionen auf Politik und Gesellschaft unverhältnismäßig zunehmen. Tolerant, nicht indifferent zielt Paidèia weder auf Aleatorik, noch auf Leitkultur oder was Nationalkulturelles, setzt jedoch pluralitätsfreundliche Nationen voraus. Regional und intergouvernemental läßt sich mit Paidèia in Europa Staat machen. Wie eine unerkannte Kulturmacht oder ein ignoriertes Superstrat gestaltet Paidèia Europa mit, weit weniger pompös als die psalmodierende Polittheologie.
Und heute? Die in Europa bildungsgeschichtlich aufzählbaren, alteuropäisch indogermanischen, keltischen, skandinavischen oder slawischen Religionen, gleichermaßen wie die drei großen, in Europa heimisch gewordenen, orientalisch-mediterranen, monotheistischen Mysterienreligionen mit ihren zahlreichen Derivaten und definitiven oder verschleierten Absolutheitsansprüchen spielen in zeitgenössischen, westlichen Bildungs-Curricula, z.B. zur Medienpädagogik und Politisch-Rhetorischen Kommunikation keine wirklich tragenden Rollen mehr. Aus religiösen Posaunen sind eher Bratschenstimmen geworden. Und trotz aufwendigem Verlautbarungsjournalismus beim abgelehnten EU-Verfassungsvertrag von 2004 spielte der vormals engagiert diskutierte „Gottesbezug“ eine nachhinkende, projektive Optionsrolle in seiner Präambel (C 310/3). Mit übernommen in den Vertrag von Lissabon 2007 (C 306/10), der als völkerrechtlicher Vertrag seit 1.12.2009 in Kraft getreten ist.
Was de facto bleibt, ist eine höfliche, aber sehr weit ausholende Referenz aufs facettenreiche „kulturelle, religiöse und humanistische“ Erbe Europas, aber eben keine völkerrechtsvertraglich abgesicherte Prädominanz der christlich-jüdischen Traditionslinien im Rahmen der EU, weder ein explizit singulärer Gottesbezug noch ein Götter-Bezug.
Im Wortlaut:
„SCHÖPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben“(Amtsblatt der EU, 17.12.2007, C 306/10 DE).
Was im Einklang steht mit den detaillierten Antidiskriminierungsformeln im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Art.10 und Art.18-25 (AEU-Vertrag). Nicht nur eine prätentiöse Invocatio dei, sondern schon eine scheinbar beiläufig mitformulierte, „diplomatischere“ Nominatio dei hätte zahlreiche Querschnittsaufgaben, die die EU bei all ihren Tätigkeiten zu berücksichtigen hat, verletzt, vereitelt oder ad absurdum geführt. Das vielzitierte „christliche Fundament Europas“ als Geltungsbedingung einer etwaigen europäischen Verfassung oder eines volkerrechtswirksam vergleichbaren Konstitutionsvertrags bleibt vorerst und wohl besser dauerhaft eine Illusion.
Die EU fußt auf keinerlei spezifizierter Polittheologie oder Theodizee.
EU–gemeinschaftliches, EU-mitgliedstaatliches Handeln oder supranationales oder internationales politisches Agieren, menschliche Kommunikation, intellektuelle und soziale Zeitkommunikation: Nichts davon bedarf göttlicher Zustimmung. Akzeptanz, Balance, Vernunft, Sachverstand, Vertrauen und Durchsichtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, vertragskonformes Agieren sind schon viel eher vonnöten. Zudem ein differenziertes, faires, problemlösendes Zusammenspiel der Konzertierenden gemäß gemeinsam vereinbarter Partitur. Verhältnisse von Spiritualität und Technologie werden in unserer Zeit ohnehin nicht als Kernfragen angesehen. Moderne, intellektuell und sozial verfaßte Paidèia hat anscheinend schon einen Primat gegenüber nationalkulturellen und monoreligiösen Menschenbildern und Identitätsorientierungen errungen, obgleich die Vielheit religiöser Traditionen und nationalkirchlicher Verehrungsformen teils folkloristisch, teils aus wohlbegründeter Toleranz respektiert wird. Die damit umschriebene, libertas-zentrierte Grundhaltung an praktisch-republikanischer Toleranz ließe sich in gewisser Hinsicht als ´neosymmachianisch` charakterisieren. Unabhängig davon, ob vielen Europäern, die eine vage, interreligiös-pagane, aber konstruktive, als neosymmachianisch dechiffrierbare Einstellungshaltung intuitiv vertreten, die zugrundeliegenden, neuplatonisch-synkretistischen Kerngedanken vertraut sind. Und unabhängig davon, ob Probleme der rhetorisch-systematischen oder systemontologischen Wahrheitsindifferenz in universaler, transzendentalhermeneutischer Hinsicht, tatsächlich von unsrer Lebenswelt aus im Hinblick auf konstruierbare, szientifisch explikable Kosmologien überhaupt lösbar sind.
Diese moderate, defensive bis resignative Attitüde greifen wir hier wieder auf. Deshalb verwerfen wir auch keine komprimiert und narrativ formulierten, „eingekapselt“ überlieferten Mythologien, die jeweils einer zeitgemäßen Explikation und konfigurationsontologischen Reformulierung bedürfen. Plurikulturell respektierende Identität wird als etwas Gutes, Realistisches, typisch Europäisches und Res-Publica-Angemessenes angesehen. Sogar im monarchischen, spätrömischen West-Reich waren einzelne Herrscher bemüht, sich mit tradierter Paidèia zu arrangieren.
Im Codex Theodosianus (des 5.Jahrhunderts n.Chr.) ist dies sogar von Kaiser Constantin († 22.5.337) klar überliefert. Betitelt DE LONGA CONSUETUDINE, wird aus einem von Kaiser Constantin erlassenem Edikt berichtet, das an Maximus [Aemilius?], praefectus praetorio Galliarum gerichtet ist. Darin schreibt Constantin verbindlich fest, daß es künftig darauf ankomme, die alten Sitten und Überlieferungen beharrlich zu pflegen. Und deswegen sollen die althergebrachten Einrichtungen (besagt: die tradierten, nichtchristlichen Einrichtungen und Kulte), soweit kein gravierendes öffentliches Interesse dagegensteht, kontinuierlich in Geltung bleiben. [Cod.Theod. 5,20,1: Venientium est temporum disciplina instare veteribus institutis. Ideoque cum nihil per causam publicam intervenit, quae diu servata sunt permanebunt.]
Civis Europaeus sum. Obzwar ich weiß, daß es ad hoc weder einen europäischen Bundesstaat noch ein EUnionsvolk im Framing einer EU-Verfassung gibt. Jener entscheidende, verfassungsgebende Schöpfungsakt eines europäischen Staatswesens, begründet durch das zutreffend definierte europäische Staatsvolk, läßt weiter auf sich warten. Weder pluralistische Paidèia allein, noch gar die politische Bildungsarbeit der parteinahen Stiftungen kann dies herbeiführen oder durch bloße Verhandlungs-verbindlichkeiten ersetzen. Mitbedingt durch gemeinsame Kulturanthropologie, Kommunikationspädagogik, Rhetoriktraditionen, Theorien- und Technikgeschichte bildet die stets upgradefähige europäische Paidèia den ostinaten Baß in Bildung, Pädagogik, Medienkommunikation und politischer Öffentlichkeit. Wenngleich sie vielfach unerwähnt oder unexpliziert bleibt. Europäische Paidèia ist gestaltungspluralistisch, rationalenzyklopädisch, aber nicht wertfrei komponiert und rafft nicht bloß omnia ex omnibus zusammen. Paidèia ist kein additiv konzeptionsloses Multikulti, dennoch nicht nationalkulturell, innerhalb Europas eher regionenübergreifend und transnationalkulturell.
Wogegen die Multikulti-Ideologie, die nur eine vorrangige Reflexionsbestimmung, die Verschiedenheit, ein zweistelliges Prädikat mit äußerlichen Momenten favorisiert, einerseits als linguistischer wie kultureller Relativismus (Silva 2013), andererseits als eher barbarisierende und dissoziierende Dekulturationsstrategie mehr oder weniger abzulehnen ist. Trotz manch intelligenter Pro-Argumentation (z.B. Lugones 2000, Scuzzarello 2015). Die Multikulti-Ideologie stellt einen egalitär-quantitativen, funktionalen wie kommunikativen Radikalismus dar. Sie ist eine kollektivistische Ideologie und verhält sich mengentheoretisch; sie ist keinesfalls mit pluralistischer Paidèia und dem typisch europäischen Bejahen von Individualität und objektiver Realität gleichzusetzen. Die Multikulti-Ideologie setzt zwar Gleichheit und Ungleichheit neben Identität, Differenz und numerischer Konkretheit voraus, bezieht sich aber nicht plausibel darauf. Die Multikulti-Ideologie expliziert nicht, wie die vielen Verbindungen zwischen Verschiedenheiten, z.B. zwischen 7151 Sprachen (vgl. z.B. Ethnologue 2022) oder auch nur zwischen den 200 meistgesprochenen Sprachen zu bestimmen, zu konkretisieren und charakterisieren sind, selbstverständlich auch interkulturell Identitätsstiftendes, nicht Destabilisierendes, zudem Gegensätzliches oder Widersprüchliches daran. Die Multikulti-Ideologie radikalisiert und vereinseitigt eine einzige reflexionslogische Kategorie – die Verschiedenartigkeit – und redet abstrakt. Multikulti müßte jedoch zwingend mehrere Anwendungskriterien, berufsorientierte, fremdsprachendidaktische und lernpsychologische, sprachkontaktbasierende, intereferenzlinguistische, humankommunikationswissenschaftliche, usw. auf jede Menge komplex zusammengesetzter Realverhältnisse beinhalten.
Welche Ganzheit will Multikulti konstruieren? Was seltsam homophon-gleichförmig Pseudodiverses? Alles gleichförmig ohne Ungleichheiten? Alles ohne konstituierende Asymmetrien, ohne unterschiedliche, ja konträre Begabungen? Alles mit möglichst wenig Individualität, Kontrapunktik oder Polyphonie. Eine Avantgarde soll es möglichst nirgendwo mehr geben dürfen. Auch die annähernd dreitausend Jahre im europäisch-mediterranen Kultur-, Wirtschafts- und Kommunikationsraum sich entfaltende Intellektuelle Kommunikation, seit alters her universal ausgerichtet, im Unterschied zur lokal und regional manifestierten Sozialkommunikation, dürfte in the long run der Cancel Culture des Multikulti-Kollektivismus zum Opfer fallen. Die reflexionslogisch sinnvolle Kategorie der Verschiedenheit bzw. Verschiedenartigkeit wird additiv radikalisiert und das quantitativ resultierende Konglomerat zur höchsten Kategorie, zum wirklichen Gott hochstilisiert. Populärsoziologische Kategorien haben sich in der Interkulturellen Kommunikationsforschung, aber auch in der Interferenzlinguistik breit etabliert und methodologisch ausdifferenziertere Ansätze, die z.B. die Phasenverschobenheiten von Speech Analysis auf mehreren Repräsentationsniveaus angemessener erfassen und bearbeiten können, verdrängt. Im Vordergrund dominieren eher biegsame, nicht selten ideologisch motivierte Gruppenbegriffe, bisweilen begleitet von einer expliziten Verteidigung des Kollektivismus (vgl. Cindy Holder 2000). Von Staatsvölkern ist in der Öffentlichen Kommunikation kaum noch die Rede. Frei geborene, plurikulturell lebende Europäer in eine formlose Masse desorientierter Globalisierungssklaven zu verwandeln, dürfte jedoch kaum im erkennbaren Interesse der meisten Menschen in Europa liegen. Mengentheoretisch deskriptives Multikulti mit Vollkasko-Mentalität schaut aus wie ein Ungeheuer einer in die menschliche Kommunikation transponierten Irrlehre. Von daher eignet sich Multikulti nicht als kulturübergreifende, seriöse Rahmenkategorie, weder für Europa, noch für die EU.
Vom derzeitigen Status quo der EU wäre angemessen aktualisierte Paidèia sicher nicht auf einen Streich herzuleiten. Gewiß läßt sich Paidèia sinngemäß als Rahmenkategorie in der Präambel zum Vertrag von Lissabon und in vielerlei EU-Querschnittsaufgaben wiedererkennen und konstruktiv zuordnen, implizit. Zwingend ist es nicht, aber im Dreitausend-Jahre-Kontext Europas sinnvoll. EU-Europa ist auf eine heterogene, konkurrenziell-komplementäre Res-publica-Gemeinschaft hingeordnet, die in der Lage ist, konfligierende, konträre, sogar inkommensurable Überzeugungen, Religionen und Wertvorstellungen auszubalancieren, ohne dabei unterzugehen. Krisenbewältigung funktioniert auch, weil die EU kein irreparabel verbürokratisierter Zentralstaat, auch keine supranational entgrenzte und verschleierte Tyrannis, eben keine „EUdSSR“ ist. Obgleich Grauzonen politischer Legitimität, diverse Korruptionsgeschwulste, neuerdings sogar strangulierte Meinungsfreiheit zulasten des informationellen Selbstbestimmungsrechts der EU-Bürger und zum Gaudium fragwürdig legitimierter EU-Appatschiks, sowie etliche andere, fragwürdig delegitimierend herbeigetrickste EU-Verbindlichkeiten kaum zu verkennen sind. Dort wo es eingeübte, praktizierte pluralistische Paidèia und tatsächliche Partizipationschancen gibt, funktionierende, nicht nur formalisierte Pebiszit-Verfahren (Bürgerentscheide), werden weniger Opponenten und Repräsentanzkommunikatoren bei fragmentarisch und problematisch legitimierten Ad-hoc-Konfrontationen zusammenstoßen.
Seit der Antike bejaht Paidèia prinzipiell die Andersheit und Originalität des Andern und akzeptiert das Entwicklungspotenzial von Individualität, mit wieviel prekären Ausnahmen auch immer. Ob sie als Heilmittel gegen Invasoren, Ochlokratie (J.P. Gálvez 2017) oder gar als Rahmenkategorie gegen barbarische Rebellen betrachtet werden kann, steht dahin. Individualismus oder Kollektivismus? Für Europäer ist diese Frage nicht wegdistinguierbar (Lásźló 1963/65, Fritzhand/Petrowicz 1980). Paidèia erzieht zur Skepsis gegenüber simplen politischen Bandwagon-Effekten. Krethi und Plethi wollen stets auf der Siegerseite der Politischen Kommunikation stehen und sind meistens bereit, allerlei Ritualschlachtungen dafür in Kauf zu nehmen. Falsch wäre es zu leugnen, daß einflußreiche Gegner der pluralistischen Paideia existieren, z.B.: Teile der Administrations- und Funktionseliten, Feudal-Adel und zuzuordnende Monarchisten, Territorialnationalisten und Volksgruppen-Verächter, demokratisch nicht-legitimierte, usurpatorische Gremien und Kontaktgruppen, mafieske Akteure und Verbrechergruppen, Anarchisten, Zentralisten, Terroristen, nicht zuletzt auch staatskirchliche Protagonisten. Europäische Staaten und Staatsgebilde, auch die EU, sollten keine Konkordate bzw. privilegierende Verträge mit Religionsgemeinschaften abschließen dürfen. „Jeder (soll) nach seiner Façon Selich werden“, wie der Preußenkönig Friedrich II. im Jahr 1740 feststellte.
Schubweise entwickelt sich EU-Europa als rationale menschliche Gründung; sie basiert auf Staatsverträgen. Als wertgebundene Ordnung mit Defiziten, konfliktbejahend und kooperativ, trotz aller Krisenrhetorik. Ohne humanitas, libertas, concordia, dignitas, verecundia, virtus und constantia bliebe diese Res publica Europaeorum sogar per consensum Europaeorum unerreichbar. Als zwischenstaatliches Gebilde von derzeit 27 Vaterländern einschließlich kolonialzeitbedingter überseeischer Hoheitsgebiete ist die EU grob skizzierbar: legitimiert ist sie degressiv-proportional mit signifikanten Demokratiedefiziten. Organisiert ist sie intergouvernemental und technokratisch-funktionalistisch. Alles andere als ein leicht vermittelbarer Kosmos. Kein originäres, sondern ein derivatives Völkerrechtssubjekt. Seine sogenannte Kompetenzkompetenz zur Gestaltung politisch-rechtlicher Zuständigkeiten verbleibt bis auf weiteres bei den die EU konstituierenden Mitgliedsländern, bei den derzeit 27 Nationalstaatsgebilden mit unterschiedlichem Demokratisierungsgrad. 6 konstitutionelle Monarchien sind noch in die EU eingebettet, nicht etwa von Gottesgnaden, sondern modern drapiert von Nationalverfassungsgnaden. Auch weiterhin ein operettenhafter, opulenter Ballast für die damit betroffenen, nationalstaatlichen EU-Mitspieler. Trotz dieses mehr als fragwürdigen systempolitischen Impacts nimmt die EU allmählich die Gestalt einer supranationalen Res-Publica-Gemeinschaft an.
Zweifel sind angebracht, ob das gutmenschlich verständliche Konzept der (aleatorisch-quantitativen?) Zivilgesellschaft und der „Zivilität“ des politisch-sozialen Handelns in Europa wirklich greift. Die Konzeption einer Zivilsocietät im Unterschied zur Res publica findet sich schon im „Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft“ von Jürgen Habermas (1962) mit Querverweis auf einen angeblich „klassischen Begriff“ der societas civilis nach Manfred Riedel: Aristotelestradition am Ausgang des 18.Jahrhunderts. Auch wenn man Traditionslinien, Fortschreibungen und Interpretationen basierend auf Aristoteles-Latinus und Aristoteles-Graecus beiseite läßt, dürfte das angreifbar sein. In weiteren Arbeiten wie „Zur Rolle von Zivilgesellschaft und politischer Öffentlichkeit“(1992), oder in „Hat die Demokratie noch eine epistemische Dimension? Empirische Forschung und normative Theorie“(2006) wird dem hergeleiteten Zivilgesellschaftskonzept eine sensationell aufklärerische Bedeutung beigemessen. Zwar läßt sich altgriech. koinōnia politikē im Hinblick auf Aristoteles/Politik,I,1252a in „eine Art von politischer Gemeinschaft“ übertragen, die man weiter umschreiben könnte mit „eine politische Gemeinschaft von Freien und Gleichen“ (d.h. von ausgewählten Bürgern: z.B. Hausherren). Eine politische Gemeinschaft mit synchronisierbaren Mentalitäten, Tugenden, Zielen und Glücksvorstellungen. Wobei es sich im Corpus Aristotelicum nicht um einen Fachbegriff handelt, sondern um ein zustimmungsfähiges Aufzeigen von Aspekten des praktischen Lebensvollzugs. Im römischen Traditionsstrang ist Civilitas an staatsbürgerlich klar definierte Rechte gebunden. Diese Civilitas mit „Zivilität“ ins Gegenwartsdeutsche zu übertragen und einfach ein Integral oder irgendeine große, zivilgesellschaftlich organisierte oder versammelte Menge damit zu bezeichnen, das wäre nicht nur grotesk, sondern irreführend. Auch wenn das Bedeutungsfeld von Civilitas nicht fachjargonhaft eingrenzbar erscheint, bleibt es fest an den staatsbürgerlichen Rechtsrahmen gebunden. Gerade auch dann, wenn politische Öffentlichkeit, Staatskunst, staatsbürgerliche Angelegenheiten inbegriffen sind, oder ein vir civilis (politischer Redner) mit konkreter Rollenunion und appropriierter oder legitimierter Kommunikationsrepräsentanz agiert.
Heutige Begriffs-Konnotationen von Konzepten über „Zivilgesellschaft“ zielen jedoch auf anders gelagerte Zusammenhänge zur meinungs- und willensbildenden Rolle aller Bürger bei öffentlichen, überregionalen, nationalen, europäischen, internationalen bzw. transnationalen oder aggregatdemokratisch-transversalen Diskursen, um Einfluß auf institutionalisierte Entscheidungsabläufe zu gewinnen. Ins Erkenntnisinteresse gerät nicht nur unmittelbar wahrnehmbares Engagement, sondern humankommunikativ komplexe, cachierte, mehrfachvermittelte Aspektierungen, Dimensionierungen, Delegitimierungsfragen, Interrelationen, Segmentierungen, Rücksichten, Ressorts & Sparten von Public Communication.
Public Communication stellt aber kein festes Sozialgebilde dar. Darin geht es maßgeblich um rhetorisches Engagement & Repräsentanzkommunikation, wofür als ideengeschichtliche Anknüpfungskategorie die entscheidungsrelevant definierbare Res publica besser paßt als eine prekäre Amplifikation und Drechselei mit einem angeblich „klassischen“ Begriff von „Zivilgesellschaft“ als Sozialgebilde mit aufklärerisch-konsensualistischer Grundorientierung, aufgrund oder gar trotz erkennbar floatender und fragmentierend unsteter Publica.
Die derzeit eher mißachtete Paidèia verweist auf eine Aufklärungs- und Superstrat-Funktion in Europa, asymmetrisch, institutionalisiert, individuell und selbstbestimmt, nicht en gros egalitär radikalisiert, sondern partikularisiert, gemeinwohl-orientiert und mit formalisierten Vertretungsmechanismen personal verantwortlich angewandt. Medientechnisch modifizierte und etappenweise neu justierte Verhältnisse von plebiszitärer und parlamentarischer Demokratie, Effizienz, Partizipation, Repräsentanz, Transparenz, Willensbildung, Durchführung und Controlling defizitärer Realisierungen, dies zählt zum normalen, europäischen Reformpotenzial. Postdemokratie? – gibt`s vielleicht woanders. Aber die permanente Aktualität des Prometheus-Mythos eignet sich gut als explikationsfähiger Anknüpfungspunkt. Zusammen mit europäischen Kardinaltugenden. Zu den heutigen, europäischen Paidèia-Tugenden zählt nicht zuletzt das Erlernen von Transfersprachen. Wie soll man denn sonst dem Kenntnismangel der vielen Völker übereinander abhelfen?
Ein nicht mehr dispensfähiges Sakrileg findet dort statt, wo eine herausgegriffene Sprache entrechtet oder eliminiert wird. Oder darüberhinaus die Sprachkommunikation, Literatur und Musik einer Volksgruppe verboten oder unter welchem Vorwand auch immer als obsolet eingestuft, unterdrückt und verächtlich gemacht werden.
Lingua-franca-Kommunikation (Nickl 2007: 33) stellt einen weiteren, selektiven, wertsensitiven Zankapfel dar. Viele Europäer denken bei Lingua franca: damit ist eh bloß Global English gemeint. Behutsame bis massive Kritik am Global English wird seit Jahrzehnten versucht (prototypisch: Wolters 2015), bislang chancenlos. Unstrittigerweise weist Lingua-franca-Kommunikation eine gemeinschafts-konstituierende und gemeinschaftsfördernde Qualität in Europa auf. Aber welche Sprachen sollen in Europa oder auch nur innerhalb der EU als generelle Transfersprachen gelten und welche weniger? Bei ad hoc 24 EU-Amtssprachen innerhalb eines Verbunds von 27 nationalstaatlich souveränen EU-Mitgliedsstaaten ist Lingua-franca-Kommunikation notwendig, unausweichlich.
Was also wäre gegen einen europäischen Patriotismus, der sich global behaupten muß, einzuwenden? Die Einigung der Völker Europas und ihrer europarechtsfreundlichen Nationalakteure ist keine überkommene politische Idee des 20.Jahrhunderts. Warum soll die EU-Staatsbürgerschaft nicht bald die erste Staatsbürgerschaft werden? Was einen souveränen EU-Republikanischen Bundesstaat, also auf geeignete Weise die Transformation, Weiterentwicklung zu einem EU-Föderalstaat erfodert, bzw. unidealistisch avisiert, eine demokratisch-republikanisch-oligarchische Mischform eines föderalen und souveränen National-Europas impliziert, basierend auf gleichberechtigten, gleichwertigen EU-Staatsbürgern und staatsrechtlich konstitutiven EU-Regionen und Staatsvölkern. Herkömmliche aristokratische, monarchistische und nationalistische EU-Mitspieler müßten dezisive Souveränitätskomponenten dafür an eine solche EU-Föderation delegieren. Warum sollte man in diesem Zusammenhang nicht auch riskieren, von einer zeitgenössisch explikablen, attraktiven, modernen europäischen Reichsidee zu sprechen? Basierend auf EU-Bürgern, die ihre Abgeordneten, Senatoren, weiteren Mandatsträger und Richter allgemein, direkt, frei, geheim, gleichberechtigt wählen nach dem gleichwertigen Prinzip: One Man One Vote. Dergestalt gelänge es vielleicht, daß die Bürger der EU-Föderation tatsächlich die demokratisch-republikanischen Basis-Chefs dieser kalkulierbaren, souveränen EU-Föderation bleiben.
Und wieviele Bürokratie-Kohorten bzw. Regierungsebenen brauchen wir wirklich zwischen Gemeinden, Kreisstädten, Landkreisen, Kreisfreien Städten, Regierungsbezirken (in Bayern ein Relikt aus der Napoléon-Bonaparte-Zeit!), sowie den europäischen Regionen/Ländern/Freistaaten und der EU als oberster Obrigkeit? Mit wieviel vorinstallierten Regierungsebenen müssen EU-Bürger exhaustiv regiert werden? Reichen nicht vielleicht schon vier?, oder maximal fünf?, um EU-Bürger effektiv zu regieren? Und wieso soll die sogenannte EU-Staatsbürgerschaft nicht die Primärstaatsbürgerschaft werden? Oder soll diese abgeleitete EU-Staatsbürgerschaft wie bislang bloß als EU-bürokratisch-formale Ergänzung oder sagen wir als eine Art staatsbürgerschaftlicher Wurmfortsatz bei 27 oder bisweilen mehr oder weniger Nationalstaatsbürgerschaften ad Calendas Graecas mitfolgend „geduldet“ bleiben?
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Vorherige Versionen
siehe MMN: Paideia, Medienpädagogik und Medienkontrolle, in: rudimenta rhetorica 2011: 116-174
und MMN 2012: Paidèia als Superstrat Europas oder Polittheologie statt Paidèia?
www.iablis.de/iablis_t/2012/nickl12.html
(in progress)
Vorherige Versionen
siehe MMN: Paideia, Medienpädagogik und Medienkontrolle, in: rudimenta rhetorica 2011: 116-174
und MMN 2012: Paidèia als Superstrat Europas oder Polittheologie statt Paidèia?
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Orator, Kommunikator und Repräsentanzkommunikation
New Rhetoric, New Realism: the Rhetorical Turn?